Die Inspektion von Bauwerken ist nach wie vor langsam, kostenintensiv und weitgehend manuell geprägt. Visuelle Prüfungen können Stunden dauern und erfordern den Aufbau von Gerüsten, Nachtarbeit sowie spezielles Equipment. Dennoch sind die Ergebnisse häufig uneinheitlich und unzuverlässig.
Mit dem Fortschritt digitaler Technologien stellt sich die berechtigte Frage, warum deren Vorteile nicht auch in diesem Bereich genutzt werden sollten. Tatsächlich gibt es bereits praxistaugliche Anwendungen. So hat beispielsweise ein japanischer Betreiber von Hochgeschwindigkeitszügen ein KI-gestütztes System eingeführt, das die zeitraubende manuelle Inspektion von Kilometern an Gleisstrecke ersetzt. Diese Innovation hat nicht nur die Genauigkeit erhöht, sondern auch die betriebliche Effizienz erheblich gesteigert.
Im Rahmen unserer Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel RoboTUNN, haben wir uns in den vergangenen Monaten intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich strukturelle Schäden – insbesondere die Rissbreite – automatisiert messen lassen. Die Rissbreite ist einer der wichtigsten Indikatoren für strukturellen Verschleiß. Deren präzise Erfassung ermöglicht frühzeitige Instandhaltungsmaßnahmen, reduziert den Sanierungsaufwand und minimiert Ausfallzeiten.
Aus der Vielzahl verfügbarer Forschungsansätze haben wir drei besonders vielversprechende Methoden selbst getestet. Im Folgenden stellen wir vor, was gut funktioniert hat – und wo noch Herausforderungen bestehen.
1. Orthogonalprojektion (OP) – Der klassische Ansatz
Diese Methode bildet das Fundament vieler bildbasierter Systeme zur Bauwerksinspektion. Der Ansatz, wie er bei Wang et al. (2021) beschrieben ist, kombiniert klassische Bildverarbeitung mit Deep Learning, um Rissschweregrade anhand geometrischer Breiten zu klassifizieren.
Mehr erfahren: Wie funktioniert die Orthogonalprojektion?
- Binäre Segmentierung von hochauflösenden Bildaufnahmen mittels Zeilenkamera.
- Extraktion des Skeletts (1-Pixel-Zentrumslinie) des Risses.
- Bestimmung der Hauptausbreitungsrichtung jedes Skelettpunktes mittels Hauptkomponentenanalyse (PCA).
- Erzeugung orthogonaler Linien, die senkrecht zur Skelettachse stehen.
- Schnittpunkte mit den Rissrändern liefern lokale Breiten (euklidische Distanz), die gemittelt und mittels Referenzmaßstab in metrische Einheiten umgerechnet werden.
- Rissklassifikation nach Normvorgaben (z. B. >0,2 mm = hohe Schwere).
- Anschließend Training eines Deep-Learning-Modells, das die Rissschwere direkt aus Bilddaten vorhersagt, sodass keine manuelle Messung nach dem Training mehr erforderlich ist
Stärken:
- Besonders geeignet für strukturierte Umgebungen wie Bahnschienen.
- Effizient und schnell nach dem Training.
Schwächen:
- Nicht optimal bei stark gebogenen oder verzweigten Rissen, da orthogonale Richtungen schwer bestimmbar sind.
- Abhängigkeit von qualitativ hochwertigen binären Masken – Segmentierungsfehler beeinträchtigen die Messgenauigkeit.
2. OrthoBoundary (OB) – Eine robustere Variante
Der OB-Ansatz, vorgestellt bei Li et al. (2024), baut auf der Orthogonalprojektion auf, adressiert aber deren Schwächen – insbesondere bei verrauschten Bildrändern, verzweigten Strukturen und asymmetrischen Rissen. OB kombiniert skelettbasierte Analyse mit intelligenter Bereinigung, Richtungskorrektur und lokaler PCA zur Breitenbestimmung in komplexen Asphalt- und Betonoberflächen.
Mehr erfahren: Wie funktioniert die OrthoBoundary Methode?
- Extraktion des Rissskeletts.
- Entfernung irrelevanter Verzweigungen, Fokus auf den Hauptverlauf („Trunk“).
- Eliminierung von Kreuzungspunkten.
- Anwendung von Triple-PCA an jedem Skelettpunkt zur Richtungsstabilisierung.
- Anwendung der OP-Technik zur Messung der Breite zwischen Randpunkten.
- Bildung des Mittelwerts der euklidischen Distanzen
Die Methode übertrifft andere übliche Techniken, einschließlich der klassischen Orthogonalprojektion, in Bezug auf Genauigkeit, Geschwindigkeit und Robustheit.
Stärken:
- Robust gegenüber Bildrauschen.
- Geeignet für komplexe Rissgeometrien, einschließlich gebogener und bifurkierter Risse.
Schwächen:
- Kreuzungsbereiche werden nicht vermessen.
- Probleme bei stark gekrümmten Rissen bestehen weiterhin.
3. Frequenzanalyse – Risse als Signalverläufe
Ein vollkommen anderer Ansatz ist die Betrachtung von Rissen als spektrale Signale. Anstatt geometrisch zu messen, werden Frequenzcharakteristika aus Videoframes analysiert.
Laut Cao et al. (2023) basiert dieses Verfahren auf der robusten Hauptkomponentenanalyse (RPCA), die Videoframes in zwei Komponenten zerlegt:
- Niedrigrangige Matrix → Hintergrund
- Sparse-Matrix → Rissstruktur
Dadurch wird das Hintergrundrauschen unterdrückt und feine Rissmuster deutlich sichtbar – ohne Binarisierung oder Schwellwertbildung.
Mehr erfahren: Wie funktioniert die Frequenzanalyse?
- Anwendung der 2D-Diskreten Fourier-Transformation (DFT) auf die Sparse-Matrix.
- Zentrierung, Log-Transformation und Analyse des Magnitudenspektrums.
- Anpassung einer Äquivalentellipse zur Extraktion geometrischer Merkmale (Breite, Orientierung).
- Berechnung der 1D-Leistungsspektraldichte (PSD) zur Beobachtung der spektralen Rissintensität über die Zeit.
Diese Methode ermöglicht nicht nur Breitenmessung, sondern auch die Erfassung von Rissentwicklung unter Belastung. Im Unterschied zu OP und OB, die direkt geometrisch messen, erfasst dieser Ansatz die Veränderungen indirekt über spektrale Signaturen – ideal für dynamisches Monitoring.
Stärken:
- Erfasst vielfältige Rissinformationen: Wachstumsverlauf, Orientierung, zeitliche Dynamik.
- Hohe Robustheit gegenüber Störungen dank RPCA-Vorverarbeitung.
Schwächen:
- Erfordert manuelle Schwellwertwahl im Frequenzraum.
- Hohe Ansprüche an Videoqualität und Parameterabstimmung.
Ein wesentliches Hindernis aller Verfahren ist das Fehlen valider Referenzdaten. Öffentliche Datensätze sind selten mit realen Rissbreiten annotiert. Dadurch wird ein objektiver Vergleich der Methoden erschwert. Zusätzlich sorgt Datenheterogenität (z. B. unterschiedliche Kameraabstände oder Winkel) für weitere Unsicherheiten.
Bis belastbare Datensätze vorliegen, bleibt uns nur die indirekte Validierung über Kreuzvergleiche.
Trotz ihrer Unterschiede weisen alle untersuchten Ansätze in dieselbe Richtung: Die Rissbreitenmessung kann durch KI schneller, verlässlicher und skalierbarer erfolgen. Manuelle Inspektionen allein sind angesichts wachsender Infrastrukturbelastung nicht mehr ausreichend. Diese Methoden zeigen, dass mit den richtigen Werkzeugen und geeigneten Daten nicht nur Schäden frühzeitig erkannt, sondern auch präventiv verhindert werden können.
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Literatur
Cao, J., He, H., Zhang, Y., Zhao, W., Yan, Z., & Zhu, H. (2023). Crack detection in ultrahigh-performance concrete using robust principal component analysis and characteristic evaluation in the frequency domain. Structural Health Monitoring, 23(2), 1013–1024. https://doi.org/10.1177/14759217231178457
Li, Z., Miao, Y., Eskandari Torbaghan, M., Zhang, H., & Zhang, J. (2024). Semi-automatic crack width measurement using an OrthoBoundary algorithm. Automation in Construction, 158, 105251. https://doi.org/10.1016/j.autcon.2023.105251
Wang, W., Hu, W., Wang, W., Xu, X., Wang, M., Shi, Y., Qiu, S., & Tutumluer, E. (2021). Automated crack severity level detection and classification for ballastless track slab using deep convolutional neural network. Automation in Construction, 124, 103484. https://doi.org/10.1016/j.autcon.2020.103484
